Adolf-Reichwein-Schule / Pohlheim

"Gekörnte Häupter" am Gilderwiesenberg

Ein Naturschutzprojekt der ARS feierte am Tag der Nachhaltigkeit sein 10-jähriges Bestehen

Dieser Beitrag ist abgelaufen: 23. Dezember 2012 00:00

Gilderwiesen Aufmacher

Am „Gilderwiesenberg“ bei Garbenteich bot sich kürzlich ein seltsames Schauspiel: Kinder und Erwachsene, die sich in großer Zahl dort eingefunden hatten, warfen auf ein Kommando hin eine Hand voller Pflanzensamen in die Luft. Schwerkraft und Wind bewirkten zur Freude vieler, dass nicht alles auf den Boden fiel, sondern in der ausgelassenen Menge einige „gekörnte Häupter“ hervorbrachte.

Anlass war die Feier zum 10-jährigen Bestehen des Naturschutzprojekts „Gilderwiesenberg“ und symbolisch war dieses Ausbringen von Pflanzensamen gemeint, als Rückblick auf ein gelungenes Projekt und für eine hoffentlich ebenso gedeihliche Zukunft (im wahrsten Sinne des Wortes).

Schulleiter Norbert Kissel begrüßte die zahlreich erschienen Gäste, darunter Tobias Slenczek als Vertreter der Stadt Pohlheim, der Garbenteicher Ortsvorsteher Hartmut Lutz, Kai-Pieter Stehn-Nix, Umweltbeauftragter der Stadt, Karl-Heinz Müller, Leiter des städtischen Bauhofs, Marc Schäm, Regionalbeauftragter für Umweltschulen sowie Sabine Hasselbach, die langjährige Leiterin der Umwelt-AG der Adolf-Reichwein-Schule, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen des Fachbereichs Naturwissenschaften das Projekt seitens der ARS betreut.

„Am Tag der Nachhaltigkeit warten wir nicht mit Absichtserklärungen auf, sondern mit konkreten und erfolgreichen Ergebnissen und ich danke allen, die in all den Jahren mit hierzu beigetragen haben“, hob Norbert Kissel hervor. Kai-Pieter Stehn-Nix ergänzte mit der Darstellung der ökologischen Bedeutung des Projekts. Dazu gab es eine Menge Wandtafeln mit einer Dokumentation des Projekts.

Als vor gut einem Jahrzehnt ein Projekt in Angriff genommen wurde, das Naturschutz, Ökologie, Biologie und die Einbeziehung eines außerschulischen Lernorts miteinander vereinen wollte, war noch nicht klar, ob dieses Vorhaben überhaupt gelingen würde. Immerhin hatte kaum einer an der ARS eine Vorstellung davon, wie man einer Dornenhecke einen ökologisch wertvolleren „Halbtrockenrasen“ würde abringen können, zumal sich zunächst auch niemand so recht etwas unter einem Halbtrockenrasen vorstellen konnte.

Heute gehört das Projekt „Gilderwiesenberg“ zum selbstverständlichen Teil des naturkundlichen Unterrichts an der Adolf-Reichwein-Schule, dem man sich insbesondere in den Wintermonaten eifrig widmet.

Zwischen Garbenteich und Dorf Güll, an der rechten Seite der Straße, kurz bevor man durch den Limes ins ehemalige Imperium Romanum gelangt, befindet sich eine Gelände, das noch vor 10 Jahren über und über mit Schlehendornen zugewachsen war. Einst lagen hier die Weidegründe längst verschwundener Dörfer.

Ihr flachgründiges Bodenprofil bewirkt, dass die Wiesen nach einem Regen sehr schnell wieder trocknen, weil das Wasser in einer Art natürlichen Drainage abgeführt wird oder verdunstet. Das macht solche Habtrockenrasen zum idealen Standort spezieller Pflanzengemeinschaften, die sich auf Waser- und Nährstoffmangel eingestellt haben. Ohne die Konkurrenz anspruchsvollerer Pflanzen gedeihen sie hier prächtig und bilden ein seltenes und ökologisch sehr wertvolles Biotop.

Jeweils im Winter treffen sich Mitglieder der Schulgemeinde zu gemeinsamen „Entbuschungsaktionen“, schneiden und sägen sich  Quadratmeter für Quadratmeter in die Schlehenhecken hinein und leisten so einen generellen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt in der Natur. Denn selbstverständlich folgen den Pflanzen auch spezielle Kleintiere, die dann wieder beispielsweise die Nahrungsgrundlage für Vögel bilden.

Der freigewordene Boden wird durch Schafbeweidung im Sommer am Wiederzuwachsen gehindert. Und so war auch Schäfer Ulrich Pape im traditionellen Outfit und mit einigen seiner Tiere zum Gilderwiesenfest erschienen. Viele hundert Quadratmeter wurden seit Bestehen des Projektes renaturiert. 

Zur Freude der kleinen und großen Umweltschützer stellte sich auch ein Bewuchs durch die Küchenschelle ein. Diese unscheinbare Blume ist eine typische Pflanze (Indikatorpflanze) des Halbtrockenrasens.

Etwa 1000 Quadratmeter werden es bereits sein, die an wertvoller Ausgleichsfläche so entstanden sind. Die zünftigen Bockwürste aus der schuleigenen Gulaschkanone Emma sind fester Bestandteil eines jeden Arbeitseinsatzes am Gilderwiesenberg, ebenso wie interessante Exkursionen in die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Was man bei einem Erkundungsgang durch Wald und Wiese so alles findet, ist nämlich enorm: Da ist von Tierskeletten, über verlassene Nester bis hin zum Rehbockgehörn alles dabei. Auch beim Gilderwiesenfest erhitzte Emma wieder in bewährter Weise die Würste, und die schmeckten auch bei milden, spätsommerlichen Temperaturen. Und auch der Busch gab wieder interessante Exponate aus dem „Reich der wilden Tiere“ frei.

Neben der Stadt Pohlheim unterstützen die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Gießen, die Botanische Vereinigung für Naturschutz in Hessen (BVNH) und die Forstverwaltung das Projekt, das 2003 den Umweltpreis der Stadt Pohlheim erhielt. 

Für die Adolf-Reichwein-Schule  ist der Gilderwiesenberg ein pädagogisch wertvoller außerschulischer Lernort. Mit diesem Projekt steht die Schule auch ganz in der Tradition ihres Namensgebers, nutzte doch Adolf Reichwein einst jede Gelegenheit, um mit seinen Schülern unter freiem Himmel zu arbeiten und die Vorgänge der Natur am lebenden Objekt zu erkunden. „Der Naturbetrachtung bieten sich unendliche Möglichkeiten. Ihren Sinn bekommt sie erst durch die erzieherische Wendung, die Weckung des persönlichen Gewissens gegenüber dem Dasein“, schreibt Reichwein in seinem 1937 erschienen Buch „Schaffendes Schulvolk“.

Das Naturschutzprojekt „Gilderwiesenberg“ ist von daher lebendige Schule - in jeder Beziehung.

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| 24.9.2012